Mittwoch, 29. Januar 2014

Et uus saaks alguse...


Ein ganzer Monat ist seit dem letzten Eintrag vergangen und viel ist geschehen hier im Baltikum.
Über alle Ereignisse haarklein zu berichten, würde zu viel Zeit in Anspruch zu nehmen, als probiere ich einen groben Abriss über die letzten Wochen zu geben.





1.       Head uut aastat! (Frohes neues Jahr!)

Da ich die Chance noch nicht hatte, möchte ich euch allen gerne über diesen Blog noch einmal ein frohes, segenreiches neues Jahr 2014 wünschen. Den Jahreswechsel selber habe ich nicht groß und mit großem Feuerwerk in Tallinn oder sonstwo verbracht, sondern ruhig im Dorf. In den Häusern hielten wir Festessen ab, die mindestens 12 Speisen beinhalten mussten – zu jedem Zeitpunkt mussten mindestens 12 verschiedene Lebensmittel auf dem Tisch stehen. Wurde eine Speise geleert, musste etwas neues herbeigetragen werden. Dies soll den Reichtum der nächsten 12 Monate vorhersagen. Gleiches gilt für den Brauch, der fordert, dass die Speisen bis mindestens Mitternacht auf dem Tisch stehen. 

HEAD UUT AASTAT 2014!

     Kurz vor dem eigentlichen Jahreswechsel fuhren wir mit den Dorfbussen an den Hügel nach Põlva, wo wir neben dem mit Kerzen bestückten Treppenwegen des Seestrandes ein schönes Feuerwerk und viele Himmelslaternen bewunderten. Zuerst mussten alle Männer allen Frauen ein frohes neues Jahr wünschen und umgekehrt – und dann erst den eigenen Geschlechtsgenossen. Es regnete „Head uut aastat!“–Rufe und Umarmungen. Bei einem Bewohner musste ich befürchten, zu Tode umarmt zu werden (Siehe Foto). J
Pünktlich um ein Uhr stießen wir dann auch noch mal zum deutschen Jahreswechsel an und irgendwann ging es zufrieden und vollgegessen zu Bett, denn auch nach dem Jahreswechsel gab es noch einmal Kuchen. 




2.       Baltikumreise


     Am zweiten Januar ging es für mich früh am Morgen raus in die Welt und ich bestieg mit Anna, meiner Ex-Mitfreiwilligen, die für den Jahreswechsel zum Urlaub gekommen war, den Bus nach Riga, wo wir einen regnerischen Tag mit der Stadtbesichtigung verbrachten. Am Abend fuhren wir Bettina zum Flughafen entgegen, an dem sie aus Berlin ankam. Am nächsten Tag verbrachten wir noch einen schönen Tag in der Rigaer Altstadt, bevor wir uns von Anna verabschieden mussten, die nach Hause flog.
Was kann ich über Riga sagen? Riga, die größte Stadt des Baltikums (ca. 800.000 Einwohner) ist auf den ersten Blick eine Mischung aus Leipzig und St. Petersburg. Hohe Jugendstilhäuser, viele Kaffeehäuser, kleine Gassen und mittelalterliche Kirchen ranken sich um die kleinen Straßen mit liebevollen Namen. (lettisch für „Straße“ ist „iela“). Viel Lettisch schien man trotzdem nicht zu hören, denn nur jeder zweite Einwohner ist Lette – in einigen Vierteln sogar weniger. Der Rest der Stadt setzt sich größtenteils aus russischsprachiger Bevölkerung und ein paar Ukrainern zusammen. Riga bietet eine Mischung aus kleinen Gässchen, hohen Prunkbauten und Sowjetgebäuden. Überall in Riga findet sich viel Deutsch und Russisch. Riga war Hansestadt und Lettland und Deutschland verbindet – wie Estland und Deutschland eine lange, komplizierte Geschichte, die größtenteils mit Lutheranern und Lehnsherren einhergeht.
Der interessanteste Punkt in Riga war für mich deutlich der Markt am Busbahnhof, der sich über 5 alte Zeppelinhallen und das Areal um diese Herum erstreckte – und damit einer der größten Märkte der Welt ist. In diesem Komplex befinden sich alleine zwei Supermärkte, zwei Fleischhallen und eine Fischhalle, in der der Fisch in den Auslagen noch zappelte und in der es erbärmlich nach Zoo stank.
Alles in Allem war Riga vielleicht keine überzeugende Schönheit wie etwa Tallinn, aber auf jeden Fall eine Erfahrung und eine Reise wert. 

 
Der Rigaer Dom

Freiheitssäule

Damals Zeppelinhangars/ Heute Markthallen

Der Weihnachtsbaum - Zur kürzlichen Euroeinführung stilecht
mit Euroflaggen behängt

Das Gildenhaus - Wahrzeichen von Riga



     Weiter ging es nach Vilnius, wo ich aufgrund einer Magenverstimmung nicht ganz so viel erleben konnte wie erhofft. Zudem hat es leider die ganze Zeit nur geregnet. Vilnius hat mich trotzdem überzeugt. Im Stadtzentrum der Hauptstadt des katholischen Litauens befinden sich bereits mehr als 40 Kirchen – eine größer und imposanter als die andere. Bereits wenn man um eine Ecke geht, erblickt man neue Kapellen und Kirchtürmchen, die sehr oft weit entfernt vom Kirchenschiff standen. Die größte – die Kathedrale erinnerte sehr an italienische Gefilde, wie sowieso ganz Vilnius. Miglé – eine Litauerin, die ich in Taizé kennengelernt habe, und die wir trafen – führte uns auch in kleinere Gassen und zu einem schönen Aussichtspunkt, den wir, wäre das Wetter besser gewesen, auch mehr genossen hätten. Sehr schön, wenn auch wegen des Regens nur kurz, war der Ausblick vom Wehrturm der alten Festung Vilnius auf einem Berg, dem Wahrzeichen der Stadt. Von dort aus erblickten wir sowohl die Kirchtürme der Altstadt, als auch die Bürotürme der Neustadt. Ein sehr schöner Ausblick – wohl aber schöner bei Sonne. 

Präsidentensitz

Kathedrale von Vilnius

Eine von über 40 Kirchen im Stadtzentrum

Die Vilniuser Neustadt

Der Gediminas-Turm, Wahrzeichen von Vilnius

     
      Zwei Nächte nach Ankunft, früh am Morgen, ging es dann auch schon wieder zurück nach Riga, wo wir nach ein paar Stündchen auch schon wieder aufbrachen. Nicht jedoch ohne Stress, denn ich hatte meinen Abgabeschein von der Gepäckabgabe verloren und so mussten wir – 20 Minuten vor Busabfahrt – zur Administration des Bushofes gehen, wo Bettina in russisch mit der lettischen Dame ein Dokument ausfüllte, mit dem wir dann wieder zurück zur Ausgabe mussten. Wir schafften unseren Anschluss dennoch und brachen in die letzte baltische Hauptstadt – Tallinn – auf. Tallinn hatten wir zwar schon gesehen, dennoch war es ein schöner Aufenthalt, auch weil wir in Bettinas Geburtstag auf der Aussichtsplattform in der Altstadt verbrachten. Mit einem neuen Zug mit modernster Technik (was für Estland nicht selbstverständlich ist) fuhren wir dann Richtung Tartu und dann ins Dorf und verbrachten noch einige Tage im Dorf, bevor Bettina wieder fahren musste. Leider fielen erst gegen Ende die Temperaturen und der erhoffte Schnee kam, der bei rund minus 15 Grad auch noch heute liegt.
Über die drei Staaten und Hauptstädte lässt sich folgendes sagen: Es ist wunderschön, hier zu sein. Das Baltikum gefällt mir sehr gut. Nicht nur die Landschaft, sondern auch die Städte und die Kulturen sind unterschiedlicher, als man das vermuten könnte. Auch unterscheiden sich die baltischen Staaten von ihren Nachbarstaaten, die allesamt slawisch sind. Litauisch und Lettisch – baltische Sprachen und Kulturen – und Estnisch – eine sogenannte ostseefinnische Sprache und Kultur – lassen sich überhaupt nicht mit den umliegenden Regionen vergleichen. Allerhöchstens kann man noch einen Vergleich zwischen Estland und Finnland heranziehen, welches jedoch kein Nachbarland des Baltikums ist.
Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum die Menschen im Baltikum so besonders stolz auf ihre Kultur, ihre Unabhängigkeit und ihre Musik sind. In allen drei baltischen Staaten finden aller 5 Jahre unter Beteiligung zehntausender Sänger und Tänzer die Sing und Tanzfeste statt um nur eines zu feiern – die eigene Kultur, die im Baltikum schon immer über Lieder weitergetragen wurde. Litauer wurden lange Zeit von Deutschen und Polen, Letten und Esten von Schweden, Deutschen und Russen und letztendlich alle drei Staaten von der Sowjetunion malträtiert und unterdrückt, doch alle drei „Bauernvölker“ haben es zu ihren eigenen Nationen geschafft, die nun aufblühen. Das Baltikum gilt als europäische Boom-Region und ist auf jeden Fall eine Reise wert!

Ein kurzer Einschnitt über das AHHAA-Zentrum, das wir besuchten:
Das AHHAA-Zentrum ist ein Wissenschaftsmuseum, dass als estlandweite Attraktion gilt und dass wir besuchten. Wir hatten einen wunderbaren Tag im Wissenschaftszentrum: Wir fuhren mit einem Fahrrad über die Hallendecke, schlichen durch Spiegelkabinette (im Versuch vor Bettina zu fliehen, stieß ich mir die Nase an), sahen frisch geschlüpften Küken beim Trocknen zu, spielten mit Wasser, legten uns auf Nagelbretter und zogen uns auf einem Sitz an die Hallendecke. Ein wunderbarer Tag.


 
Einmal Feuerwehrmann :)

Blasenexperimente

Ein Wasserpark - Spaß für Groß und Klein :)





3.    Der 15. Januar


Der 15 Januar diesen Jahres war für mich ein besonderer Tag, den erstmals ging ich nicht mehr als Freiwilliger zur Arbeit, sondern als „Tegevusjuhendaja“ (Beschäftigungsleiter = Assistent). Mein Freiwilligendienst hatte nach allen Regeln am 13. Januar 2014 um 23:59 Uhr ausgeröchelt und mit einer letzten Sauna und einem letzten Kuchen ging es für mich in eine neue Erfahrung. Mein Vertrag wurde aufgesetzt und ich bin nun offiziell assistierend. Bis zu meiner Abreise am 18. März werde ich mit „meinem Kleinen“ arbeiten und habe dadurch ganz neue Rechte und Pflichten. Beispielsweise darf ich jetzt Dorfbusse fahren, was ich als Freiwilliger aus versicherungstechnischen Gründen nicht durfte, aber ich darf auch alleine mit Bewohnern ein Haus behüten. Für Schäden an Leib und Wohl bin dafür aber auch ich verantwortlich. Mit einem neuen Kuchen und einer neuen Sauna ging es dann in diesen neuen zweimonatigen Abschnitt, der mir bislang schon viele neue Erfahrungen brachte, die ich liebe. Meine Arbeit macht mir mehr Spaß als schon zuvor, ich liebe die Besuche in der Werkstatt, wo ich jetzt Maschinen- und Handnähen gelernt habe (wenn auch schlecht), ich war bei der neu eingeführten Hundetherapie und habe endlich Zeit für Kreativangebote, wie den Singkreis und die Malstunde.
Bild vom Singkreis


Schnee!
Wie schön, dass meine Bank fertig ist :)

Wenn es draußen kalt ist, kann ich drinnen Nähen lernen. :)

So wird es weitergehen bis zum Ende dieser Phase Mitte März, doch ich habe noch viel vor – sowohl an Reisen als auch an Projekten. Nächsten Samstag wird meine Nachfolgerin eintreffen, doch ich habe noch Zeit, hier ein oder zwei Spuren mehr zu hinterlassen. Der Freiwilligendienst hat sein Jahr abgesessen, doch jetzt geht es in die Endphase.

Bis bald,
Marcel

P.S. Der Titel entstammt aus dem Titel des letztjährigen estnischen Eurovisions-Beitrages. Frei übersetzt bedeutet es etwa „Ein neuer Anfang kommt“. Der Titel spricht für sich.